Wenn Kinder aus Angst die Toiletten nicht mehr aufsuchen

18.11.2024
  • Zielgruppe: amerikanische Kinder und Eltern
  • 27. - 31. Oktober 2024

Wie der Hurricane „Helene“ den Westen von North Carolina verwüstete und Notfallpädagogik den Flutopfern bei der Trauma-Bewältigung hilft

Ende September 2024 verwüstete der Hurricane „Helene“ mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 225 km/h und die nachfolgenden sinflutartigen Regenfälle den Westen von North Carolina/USA. Von den Zerstörungen war besonders die Stadt Asheville betroffen. Einer der Stadtteile wurde von den Wassermassen vollständig überschwemmt, Häuser und Straßen von einer teilweise 10 Meter hohen Flutwelle weggerissen und ganze Ortsteile durch Bergrutsche von der Außenwelt abgeschnitten. Für weite Teile der Stadt ist die Trinkwasserversorgung bis heute unterbrochen. Aus Wasserhähnen und Duschen strömt eine toxische braune Brühe. Medien berichteten von „apokalyptischen Szenen“ und „Verwüstungen biblischen Ausmaßes“. Offiziell kamen bei der Katastrophe über 200 Menschen ums Leben, Hunderte werden bis heute vermisst. Wie hoch die Opferzahlen tatsächlich sind, vermag niemand zu schätzen, da viele illegal angesiedelte Migranten unangemeldet in der Region leben. 

 

Nach einer traumatischen Erfahrung ist nichts nicht mehr, wie es vorher war. Viele Menschen sind traumatisiert. Vor allem von den psychischen Folgen der Katastrophe betroffen sind die vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen: Arme, Alte, Kranke, Behinderte und besonders Kinder.

Viele Eltern berichten von Ängsten, Ein- und Durchschlafstörungen, Bettnässen, Essstörungen, sozialem Rückzug und regressivem Klammerverhalten. Manche Kinder verweigern die Nutzung von Toiletten, weil die Wassergeräusche der Spülung Flashbacks der katastrophalen Flutung triggert.

Vom 27.-31.Oktober 2024 fand in Ashville eine notfallpädagogische Krisenintervention der Notfallteams von „Notfallpädagogik ohne Grenzen – USA“ mit dem Team Kalifornien, Team Hawaii und Team Kairos/ New Hampshire unter der Leitung des Kairos/ New Hampshire-Teams aus Wilton statt. Das 22-köpfige US-Interventionsteam wurde von Alicia D´Urso („Notfallpädagogik ohne Grenzen – Mexico“) pädagogisch angeleitet und von Bernd Ruf (Notfallpädagogik ohne Grenzen – Deutschland“). Der Einsatz hatte das Ziel, Kinder, in der Frühphase der traumatischen Entwicklung durch waldorfpädagogische Methoden bei der Verarbeitung ihrer belastenden Erlebnisse zu unterstützen, pädagogische Fachkräfte für psychotraumatologische und traumapädagogische Aspekte zu sensibilisieren sowie Eltern in Fragen des erzieherischen Umgangs mit traumatischer Symptomatik im Verhalten ihrer Kinder zu beraten.

Notfallpädagogische Intervention an der Waldorfschule „Sola“:

Notfallpädagogische Interventionen sind in der Regel von einem gemeinsamen Eröffnungs- und Abschlusskreis umrahmt. Die Übungen im Kreis sollen u.a. die posttraumatische Neuorientierung im Raum und im Körper unterstützen.

Notfallpädagogische Intervention an der Waldorfschule Asheville

Eingebunden zwischen den Eröffnungs- und Abschlusskreisen werden altersgemäße Workshops für das Kindergarten-, Schul- und Jugendalter angeboten. Künstlerische Aktivitäten sollen alternative Ausdrucksmöglichkeiten für das nach einem Trauma Unsagbare ermöglichen. Rhythmus- und Bewegungsangebote unterstützen die Auflösung des traumatischen Freeze-Zustandes und harmonisieren traumabedingte Rhythmusstörungen. Heilende Geschichten werden zur Überwindung der Zerstörungsbilder eingesetzt, die das Trauma in die menschliche Seele eingebrannt hat. Freudvolle und ästhetische Erlebnisse schließlich stärken das menschliche Immunsystem und fördern dadurch die Traumaverarbeitung.

 

Auch Eltern und die pädagogischen Fachkräfte der Kinder und Jugendlichen sind oft durch die katastrophalen Geschehnisse traumatisiert. Sie benötigen Hilfe zur Verarbeitung des traumatischen Erlebens und Beratung im kompetenten Umgang mit den traumabedingten Verhaltensveränderungen ihrer Kinder

Öffentliche Intervention im Peri Social House in Asheville (30.10.2024)

Neben der Trauma-Arbeit mit Eltern und Lehrkräften pädagogischer Institutionen finden auch notfallpädagogische Interventionen und Beratungen im öffentlichen Raum statt, die für alle Interessierten offen stehen. Im Peri Social House von Asheville konnte eine derartige Intervention angeboten werden.

Notfallpädagogische Interventionen in Colectivo Milpa und Cooperativa Buganvilla (30.10.2024)

Im Großraum der Katastrophenregion von Asheville lebt eine große Community lateinamerikanischer Migranten, die sich teilweise illegal in den USA befinden. In einem Zentrum der amerikanischen Katastrophenschutzbehörde FEMA konnten Interventionen und Beratungen für diese spanisch sprechende Gemeinschaft durchgeführt werden.

Öffentliche Vorträge

„Was ist ein Trauma?“ Was macht es mit den betroffenen Menschen? „Wie kann Notfallpädagogik bei der Verarbeitung der traumatischen Erfahrungen helfen?“ Diese Fragen bildeten das Zentrum von zwei öffentlichen Vortragsveranstaltungen in Asheville.

Team

Notfallpädagogik hat ein Leitmotiv. Es entstammt dem Märchen des deutschen Philosophen Dichters und Staatsmannes Johann Wolfgang von Goethe: „Ob ich helfen kann, weiß ich nicht. Ein Einzelner hilft nicht, helfen kann nur, wer sich zur rechten Stunde mit Vielen vereinigt!“

Das Team der Krisenintervention in Asheville umfasste 21 Notfallpädagoginnen und Notfallpädagogen aus allen Teilen der USA, aus Mexico und aus Deutschland. Ihrem ehrenamtlichen Engagement ist der große Erfolg dieses Einsatzes zu verdanken!

Amy Joy Allahdadi, Rosa Balderama, Michelle Blazewicz, Christine Burke, Veronica Connaughton, Karine Munk Finser, Hannah Freed, Judith Graff, Pat Hart, Brian Jacques, Ines Kinchen, Martha Loving, Yoelle Carter Martinez, Elisabeth McKay, Natalia Peschiera Picasso, Zoe Rothfuss, Bernd Ruf, Conradine Sanborn, Nikki Shoneman, Nicolai Sobieski, Mary Spalding, Alicia D´Urso.

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